Angewandte Soziologie: Klassiker & Praxis
Wie gelingt dem theoretischen Wissen der Soziologen der Sprung in die kreative Mitgestaltung von Gesellschaft?
..der Wert von Klassikern wird oft erst im Nachgang in der Form wahrgenommen, die der dazugehörenden Denkleistung angemessen nahe kommt. So kann sich jeder Studierende der Soziologie an einige Klassiker aus den Einführungsveranstaltung erinnern: Marx‘ Kapital & Arbeit, Webers Macht & Herrschaft, Bourdieus Milieu & Habitus. Ob es sich dabei um den Fachjargon einer Wissenschaft handelt oder inwiefern die Konstrukte auch praktisch Anwendung finden, bleibt abhängig von der Lesart und Transfermöglichkeit, oder den genügend praktischen Beispielen, die in Diskussionen entstehen können.
Betrachtet man die Definition der Soziologie nach Max Weber genauer, lässt sich neben dem Verstehen und Erklären auf den ersten Blick keine direkte Benennung einer Aktivität finden. „Soziologie … soll heißen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will.“ Die Herausforderung für jeden idealistischen Soziologen, der die Welt bereichern möchte, besteht darin auf der Basis des Verstehens (Wie funktioniert die Gesellschaft…) und des Erklärens (… und warum funktioniert sie in dieser Form?) aktiv zu werden und hin zu einer aktiven Mitgestaltung zu gelangen.
In diesem Text stellen wir anhand dreier Bespiele Möglichkeiten vor, wie dieser Sprung gelingt kann.
Marx‘ Kapital & Arbeit
Bei der Lektüre von Ratgebern für Vorstellungsgespräche lässt sich der folgende Tipp finden: Auf die indiskrete Frage des Personalers nach dem Wahlverhalten wird der Vorschlag gemacht sich sowohl als Befürworter von Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerinteressen zu bezeichnen. Damit ist der Bezug zu den Analysekategorien nach Karl Marx offensichtlich 2018 in der Praxis top aktuell. Die Interessen von Kapital & Arbeit stehen sich antagonistisch gegenüber und es bedarf einer institutionalisierten Form diesen Konflikt zu befrieden. In Deutschland findet sich eine zauberhafte Form dafür. Statt Streik und Aussperrung, gibt es die Form weitestgehend autonomer Tarifverhandlungen zwischen Interessenverbänden der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer. Im Klartext: Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften verhandeln über ihre gegensätzlichen Interessen. Wer sich für diese Kategorien in der Praxis interessiert, kann sich in diesem System bei Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften und deren Bildungsangeboten engagieren.
Weber Macht & Herrschaft
Webers Theorie zu Macht & Herrschaft lässt sich nur schwer auf wenige Seiten komprimieren, ebenso die praktische Anwendung. Veranlasst durch die Finanzkrise 2008ff. lassen sich eine Vielzahl finanzkritischer soziale Bewegungen beobachten, zum Beispiel Occupy konnte zumindest im Ansatz beobachtet werden, dass es für einzelne Gruppen der Gesellschaft eine Krise der Legitimation bestehender Herrschaftsstrukturen gibt. Fraglich bleibt ob jede Bewegung als ein Sinnbild für die kritische Auseinandersetzung von Macht und Herrschaftsansprüchen geltend gemacht werden kann. Hier sei nur insofern darauf zu verwiesen, dass Weber auf der Suche nach ursächlichen Erklärungen für den Legitimitätsglauben von fest anerkannten Strukturen, verschiedene Herrschaftstypen definiert und diese in jeder Zeitepoche, jeder Bewegung und jeden politischen Führungsebenen in verschiedener Mischform anzutreffen sind. Bei der gesellschaftlichen Mitgestaltung durch soziale Bewegungen gelingt also ebenfalls der Sprung in die Praxis.
Bourdieu Milieu & Habitus
Ein Milieu definiert sich durch die Kombination verschiedener Kapitalformen. Dazu gehören alle Arten ökonomischer und kultureller Ressourcen. Beeinflusst durch die Sozialisation beschreibt der Habitus des Milieus dabei alles was den Auftritt eines Menschen ausmacht, das vorhandene Kapital ist so ablesbar. Gibt es einen Milieuwechsel, sind die Unterschiede sowohl innerlich für den „Wechsler“ als auch äußerlich für das Milieu spürbar. Die gegenwärtige Entwicklung sogenannter Knigge-Seminare können dabei als Versuch bewertet werden, insbesondere das kulturelle Kapital eines Milieus erfahrbar zu machen und in konkreten Anweisungen zu erlernen. Die Unterschiede werden bewusst erarbeitet, um sie zu überwinden. Auch hier lässt sich die praktische Anwendung von Soziologie erkennen.
To put it all in a nutshell
Die angewandte, praktische, hands-on Soziologie wendet das soziologische Wissen von Ursache und Wirkung in der Praxis an. Darauf aufbauend wird mitgestaltet.