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Oswald von Nell-Breuning – Ein großer Sohn Triers von überraschender Aktualität

Es gibt eine Reihe guter Gründe, grade heute im Rahmen dieser Serie das Wirken und Werk dieses großen Sozialethikers ins Gedächtnis zu rufen.

Von Nell-Breuning wurde 1890 inTrier geboren, er starb 101-jährig 1991 in Frankfurt a. M., beide Städte verliehen ihm die Ehren-Bürger-Würde. Sein Name ist vielen mit der Entwicklung der Katholischen Soziallehre vertraut, er gilt als Hauptautor der 1931 erschienenen Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“des Papstes Pius XI. Von Nell Breuning ist allerdings zeitlebens ein Grenzgänger, der sich Fragen der Industriegesellschaft und der gesellschaftlichen Ordnung zuwandte. Während der Zeit des Nationalsozialismus mit Publikationsverbot belegt, erfährt er nach 1945 als Jesuit, Hochschullehrer, Publizist und Politikberater weit über kirchliche Kreise hinaus breite Anerkennung. Er berät als Mitglied des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaf-ten diese, wirkt an Formulierungen des Godesberger Programms der SPD mit und wird im Laufe der Jahre in die wissenschaftlichen Beiräte mehrerer Bundesministerien berufen. Von Nell-Breuning setzte sich intensiv mit dem Werk von Karl Marx auseinander (beide besuchten das Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium), er teilte die Gesellschaftsanalyse dieses großen Trierer Denkers, sah dessen Warnungen vor den negativen Entwicklungen des (Früh-) Kapitalismus vielfach empirisch bestätigt und hegte zeitlebens ein tiefes Misstrauen gegenüber einem „entfesselten Kapitalismus“. Teile seiner Kritiker rückten ihn entsprechend in die Nähe des Marxismus. Eine solche Charakterisierung greift allerdings entschieden zu kurz: Von Nell-Breuning hat das für Millionen Tote verantwortliche„Wirken“ der sich auf Karl Marx beziehenden kommunistischen Staatsverbrecher wie etwa Stalin oder Mao vor Augen und kennt das sich zweifelsfrei in den Schriften von Marx widerspiegelnde freiheitsfeindliche, auch Gewalt propagierende Denken (die „Diktatur des Proletariats“). Dem setzt von Nell-Breuning seine Vorstellungen einer „Versöhnung“ von Arbeit und Kapital und eine christlich-solidarische Gesellschaftsordnung auf Basis der Grundprinzipien der katholischen Soziallehre entgegen. Entsprechend befasste er sich mit Wegen für eine Herbeiführung der Gleichwertigkeit von Lohnarbeit und Kapital und einem nachhaltigen Ausgleich der Interessen zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft, grade angesichts von akuten Wirtschaftskrisen. Auch war er nie Gegner einer profitorientierten Wirtschaftsweise, Wachstum und Gewinn sichere die Existenz der Lohnabhängigen. Misstrauen hegte er ebenso gegen die sozialistische Vorstellung eines allmächtigen, alle (nationalen und internationalen) Probleme lösenden Staates. Das von ihm im Rahmen von Quadragesimo anno entwickelte und erstmals eingeführte, heute in der Staatstheorie weit verbreitete Prinzip der Subsidiarität soll als Prinzip der Soziallehre einerseits gesellschaftliche Freiräume sichern und eröffnen, andererseits Wege der Unterstützung Hilfsbedürftiger durch die jeweils kompetenten staatlichen Institutionen suchen.

Anfangs also durchaus beeinflusst von den Ideen der ordoliberalen Freiburger Schule, kam es später bei von Nell-Breuning zu einer teilweisen Abkehr, indem er primär aus der Perspektive der Arbeitsverhältnisse heraus argumentierte, ohne aber jemals ein geschlossenes Alternativ-Konzept vorzustellen. Vielmehr nahm er Stellung zu jeweils aktuellen politischen Problemlagen und entwickelte gesellschaftliche Visionen, die immer von einer positiven Grundeinstellung und einem ebensolchen Menschenbild geprägt waren. In ca. 2.000 Schriften befasste er sich mit Themen wie der Mitbestimmung, der Steuer- und Börsenmoral, den Vorstellungen für einen gerechten Lohn, der Unternehmensverfassung und Mitarbeiterbeteiligung, der Sozialbindung des Eigentums, dem Streikrecht, der (Einheits-) Gewerkschaft, der Breiten Förderung von Wohnungseigentum, der Vermögensbildung (Investivlohn), der Arbeitszeitverkürzung oder auch der Generationensolidarität. Von Nell-Breuning schaffte es in seinem langen Leben wie nach ihm kaum noch prägende Persönlichkeiten durch seine ideologiefreie, wissenschaftlich basierte Herangehensweise, die auch keine „Alternativlosigkeit“ akzeptierte, soziale Debatten zu entfachen und sie auf Basis seines Menschenbildesin entscheidende Richtungen zu beeinflussen. Er führte gesellschaftlich relevante Prinzipien wie das der Subsidiarität ein, erinnerte stets an eine globale Verantwortung, präsentierte im Diskurs aber keine endgültigen Lösungen, da er sich der Komplexität und hohen Veränderungsrate in Wirtschaft und Gesellschaft bewusst war. Eine solche offene Diskussionskultur, geleitet durch Prinzipien des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der Achtung der Menschenwürde, kann man sich heute angesichts der aktuellen Tendenzen zu Populismus und scheinbar einfachen Lösungen durchaus zurückwünschen. Und welche Ideen bietet die im vorigen Jahrhundert von Nell-Breuning geprägte Katholische Soziallehre noch für unsere globalisierte, von sehr unterschiedlich geprägten Akteuren dominierte Wirtschaft?


Es lohnt sich, sich intensiver mit von Nell-Breuning zubefassen.


Dr. rer. soc. oec. Karl-Georg Thomas


Quellen:


Schäfers, Burkhard (2015): Oswald von Nell-Breuning. Was von der Katholischen Soziallehre geblieben ist, unter URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/oswald-von-nell-breuning-was-von-der-katholischen.1278.de.html?dram:article_id=313638 (Stand: 2015, Abruf: 01.05.2020).


Steinbach, Peter (2016): Oswald von Nell Breuning: Von erstaunlicher Aktualität, FAZ unter URL: https://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/oswald-von-nell-breuning-von-erstaunlicher-aktualitaet-14071582.html (Stand: 2016, Abruf: am 01.05.2020).


Kellerhoff, Sven Felix (2018): Marxismus, unter URL: https://www.welt.de/geschichte/article175963906/Marxismus (Stand: 2018, Abruf: 01.05.2020).

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